Dienstag, 23. Dezember 2025 13:33
Aufmerksam hören die Gäste den Ausführungen von Dieter Freesemann zu

Seit 26 Jahren sind Todesstreifen, Stacheldraht und Selbstschussanlagen Geschichte

Als Zäune und Mauern Deutschland trennten

Über 50 interessierte Zuhörer zeigen sich von den zweistündigen Ausführungen, Bildern und Grafiken über gelungene und gescheiterte Fluchtversuche, die ihnen eindrucksvoll, detailliert und mit einer außerordentlichen Sachkenntnis emotional von einem Zeitzeugen vorgetragen worden sind, insbesondere über die Morde an der unmenschlichen Grenze mitten durch Deutschland erschüttert.

Auf Einladung des Harzburger Geschichtsvereins referierte kürzlich in der Wandelhalle im Badepark Dieter Freesemann, der von 1962 bis 2004 als Beamter der Bundespolizei (bis 2001 Bundesgrenzschutz) tätig war über seine zahlreichen, oft tragischen Erlebnisse im Rahmen seiner 27-jährigen Dienstzeit an der deutsch-deutschen Grenze zwischen Schladen und Walkenried (Südharz). Zum Vortrag sind auch ein im Mai 1964 geflüchteter Schüler aus Wasserleben, der gemeinsam mit drei weiteren Schülern in einer dreistündigen Flucht die Grenzsperranlagen zwischen Stapelburg und Abbenrode gegen Mitternacht unverletzt passiert hat sowie ehemalige Beamte des Zollgrenzdienstes, die im Grenzabschnitt Eckertal eingesetzt waren gekommen.

An einer Landkarte mit den damals völkerrechtlich anerkannten Grenzen Deutschlands vom 31. Dezember 1937 erläuterte der 72-jährige Referent aus Goslar zunächst die Entstehung der Demarkationslinie zwischen der angloamerikanischen und der sowjetisch besetzten Besatzungszone. Auf einem weiteren Schaubild zeigte er mit dem so genannten „Zonenprotokoll“ das Ergebnis mehrerer Konferenzen der Siegermächte von Casablanca über Teheran und Jalta bis nach Potsdam, die sich an die Westgrenze Mecklenburgs, der Westgrenze der preußischen Provinz Sachsen-Anhalt sowie der West- und Südgrenze des Landes Thüringen orientierte. Anschließend erinnerte Freesemann an die Präsenz der Siegermächte sowie der zu ihrer Unterstützung rekrutierten deutschen Polizei an der seinerzeit noch einigermaßen durchlässigen Demarkationslinie, bis hin zu einem schier unüberwindlichen Fluchtverhinderungssystem.

Ausführlich und chronologisch informierte der Referent über das Grenzsicherungssystem der DDR, das wenn die Mauer nicht gefallen wäre, weiter technisch und organisatorisch ausgebaut worden wäre wie folgt:

– Bau des ersten Stacheldrahtzaunes mitten durch Deutschland, mit einem etwa zehn Meter breiten
Kontrollstreifen, 500 Meter breiten Schutzstreifen und fünf Kilometer breiten Sperrbezirk sowie
den damit verbundenen Einschränkungen für die Bewohner des Grenzgebietes der DDR, die bis
zur Grenzöffnung im Jahr 1989 galten.

– Ausbau der bestehenden Sperranlage in Form eines Doppelzaunes und Minenbegrenzungszaunes
in Folge des 1961 erfolgten Mauerbaues in Berlin und seinen unmittelbaren Auswirkungen auf die
rasant gestiegenen Fluchtbewegungen über die sogenannte „Grüne Grenze“.

– Ersetzen des nur ein paar Jahre andauernden „Intermezzos“ Doppelzaun durch ein über drei Meter
hohes neues Zaunhindernis mit Streckmetallplatten, die ab 1972 noch mit Selbstschussapparaten
(SM 70) ergänzt wurden sowie einem davor liegenden Sperrgraben zur Verhinderung gewaltsamer
Grenzdurchbrüche mit Fahrzeugen.

– Deutsch-Deutscher Grundlagenvertrag sowie die KSZE-Schlussakte aus den 70er Jahren und
Folgen für die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland.

– Abbau der Selbstschussanlagen und die weitere Perfektionierung der Grenzsperranlagen
durch den Bau des Grenzsignalzaunes parallel zum Verlauf des 500 Meter Schutzstreifens,
Hundelaufanlagen, Beobachtungstürmen unterschiedlichster Bauart und verschiedenartigen
Signaltechniken innerhalb des Schutzstreifens.

Highlight seiner Ausführungen bildete die Tonbandaufzeichnung eines Telefongesprächs, in dem ein junger Mann aus Ostberlin seiner in Westberlin lebenden Schwester seine dramatische, jedoch gelungene Flucht geschildert hat.

Der Referent schloss seinen Vortrag mit der Bitte, die Wiedervereinigung Deutschlands nicht nur an den mit solch einem politischen Kraftakt verbundenen Unzulänglichkeiten festzumachen, sondern die Einheit als ein einmaliges Geschenk der Geschichte zu verstehen und anzunehmen.

Mathilde Maria Kleiber und Nina Festerling vom Harzburger Geschichtsverein bedankten sich unter großem Beifall bei Dieter Freesemann für seinen informativen Vortrag und überreichten ihm ein Präsent und einen tollen Blumenstrauß für seine ebenfalls anwesende Ehefrau.

Text/Bilder: Helmut Gleuel