Freitag, 26. April 2024 23:58
Volles Haus beim Vortrag im Heimathaus

Wieder volles Haus beim Winterabend im Heimathaus Alte Mühle

Bezirksarchäologe Dr. Michael Geschwinde hielt Vortrag über die neuesten Forschungsergebnisse der Königspfalz Werla

Bezirksarchäologe Dr. Michael GeschwindeBeim 2. Winterabend im Heimathaus Alte Mühle in Schladen berichtete der Bezirksarchäologe Dr. Michael Geschwinde über die neuesten Forschungsergebnisse der Königspfalz Werla bei Schladen. Dieses Thema hatte viele interessierte Zuhörer ins Heimathaus gelockt.

Herrscher zogen von Pfalz zu Pfalz

Die Werla war eine befestigte Palastanlage, auf der im Mittelalter Könige und sogar Kaiser Hof hielten. Die Herrscher regierten ihr Reich nicht von einer festen Hauptstadt aus, sondern mussten vor Ort den persönlichen Kontakt zu ihren Gefolgsleuten halten. Dazu errichteten sie ein Netz von Stützpunkten, den Pfalzen, die sie abwechselnd besuchten. Hier standen repräsentative Gebäude, in denen sie dann die Fürsten der Umgebung zusammenriefen, Rat hielten, Recht sprachen und Urkunden ausstellten. Zudem gab es in einer Pfalz Wirtschaftsgebäude, um den Herrscher und sein großes Gefolge bei dem Aufenthalt zu versorgen und sie bot begrenzten Schutz vor Angreifern. In diesem Zusammenhang wird die Werla auch zum ersten Mal erwähnt, Rex autem erat in presidio urbis quae dicitur Werlaon, schrieb der Chronist Widukind von Corvey in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts in seiner Sachsengeschichte. Der König (gemeint ist Heinrich I.) aber befand sich in der festen Burg Werla.

3 Grabungskampagnen in fast 100 Jahren

Dr. Geschwinde gab zunächst einen Rückblick auf die mittlerweile fast 100 Jahre Grabungsgeschichte. Drei große archäologische Grabungskampagnen in den 1930er Jahren, zwischen 1957 und 1964 und zuletzt von 2007 bis 2016, förderten schließlich umfassende Erkenntnisse zutage. Damit ist sie ein hervorragendes Beispiel einer archäologisch intensiv untersuchten Repräsentationsanlage des frühen und hohen Mittelalters. Trotzdem ruhte die Anlage auf dem Okersporn bis in die späten 2000er Jahre in einem Dornröschenschlaf. Auch vor Ort war lange nichts zu erkennen von der bedeutenden Anlage – außer einem zugewachsenen Gedenkstein.
Danach erläuterte Geschwinde die Funktion der Pfalz Werla als Befestigungsanlage und Repräsentationsort der ottonischen Herrscher im 10. Jahrhundert. Die Anlage entstand bereits in karolingischer Zeit, als fast kreisrunde Anlage auf einer Hochebene, die steil zur Oker abfällt. Befestigt war sie mit einem Wall und einem vorgelagerten Graben. “Wie genau dieser Wirtschaftshof ausgesehen hat, wissen wir nicht”, schränkt Geschwinde ein. Spuren sind durch die späteren Umbauten nahezu vollständig zerstört worden.
Anfang des 10. Jahrhunderts wurde der Befestigungswall durch eine Mauer ersetzt und durch den Anbau einer blasenförmigen Vorburg nach Norden erweitert. In der Kernburg entstanden nun repräsentative Gebäude – wie ein Palas und eine Kapelle. Heute sind die Grundrisse dieser Gebäude durch niedrige Mauern und in den Boden eingelassene Stahlplatten verdeutlicht worden. So bekommt man einen Eindruck von ihrer Größe und Beschaffenheit. Für die Sachsen war die Werla ein wichtiger politischer Ort, mehrere Könige hielten hier Hof, wie schriftliche Chroniken belegen.

Hinüberdämmern ins Halbdunkel der Geschichte

Zunächst ein glanzvoller Platz der ottonischen Herrscher, gefolgt vom Hinüberdämmern ins Halbdunkel der Geschichte bis zum völligen Vergessen. Erst 1875 gelang es, den Ort der alten Pfalz auf dem Kreuzberg nördlich von Schladen wieder zu lokalisieren. Seit den 1920er Jahren wurde dann zunehmend das wissenschaftliche Potenzial der Werla als ein nicht überbauter großer Pfalz des 10. Jhs. erkannt. Es bildete sich die sogenannte Werla-Kommission mit Karl Hermann Jacob Friesen an der Spitze. Aber erst 1934 setzten großflächige Grabungen auf dem Pfalzgelände ein, die mit einem für die damalige Zeit beispielhaften personellen und technischen Aufwand betrieben wurden, zum Beispiel durch den ersten systematischen Einsatz von Luftbildarchäologie auf deutschem Boden. Erster Archäologe war Hermann Schroller, der zusammen mit dem Architekten Martin Viktor Rudolf (beide Nazis) die Ausgrabungen zum Vorzeigeprojekt im 3. Reich machten. In dieser Zeit hatte man andere Vorstellungen von den Ausgrabungen, sagte Dr. Geschwinde dazu. So wurden auch der Reichsarbeitsdienst und Fremdarbeiter aus dem damals besetzen Tschechien für die Arbeiten eingesetzt. Geschwinde erwähnte hier auch den Zeichner Helmut Hase, der zwischen 1937-39 viele Zeichnungen von der Werla anfertigte. Was Geschwinde auch faszinierend fand, dass in den 30iger Jahren viele emanzipierte Frauen als Archäologinnen dort arbeiteten. Viele Bilder zeigten auch den Spaß bei den Ausgrabungen.
Das Abbrechen der Grabungen 1939 ist jedoch weniger auf den Ausbruch des zweiten Weltkrieges, als vielmehr auf die immer größere Verunsicherung im Grabungsteam über die Bewertung der bis dahin gewonnenen Befunde zurückzuführen. Nach Kriegsausbruch wurde die Werla zugeschüttet.

Zwischen 1957 und 1964 erfolgte dann nochmals ein Versuch, die Grabungen zum Abschluss zu bringen. Dies gelang mit der monographischen Publikation der Baubefunde in der Kernburg durch Carl Heinrich Seebach und der Keramik durch Edgar Ring. 1964 war dann Schluss, weil die Gelder fehlten. Die bis dahin offen liegenden Grabungsflächen mit den Bau befunden, die zum Teil über 20 Jahre frei gelegen hatten und in Mitleidenschaft gezogen waren, wurden wieder verfüllt. Bis auf eine kleine, vom Land Niedersachsen erworbene Fläche im Bereich der Kernburg wurde das Areal der Pfalz intensiv landwirtschaftlich genutzt, was zur fortschreitenden Erosion der archäologischen Befunde im Boden führte.
2007 wurde im Zuge der Anlage des Archäologischen Parks Kaiserpfalz Werla die Anlage neu belebt und erneut Grabungen durchgeführt, um die bis dahin noch offenen Fragen zur Entwicklung und Struktur der Werla zu klären. Parallel dazu wurden die Berichte der alten Grabungen systematisch ausgewertet und mit den Ergebnissen der neueren Forschungen verglichen. Das hat jetzt zu den tollen Ergebnissen geführt.

Unzählige Mosaiksteine, die die Werla zusammensetzt

Dr. Geschwinde zeigte neue 3D-Bilder der inneren Vorburg und der äußeren Vorburg, die archäologisch nicht erforscht wurde. Es gibt unzählige Mosaiksteine, die die Werla zusammensetzt, gekoppelt mit unheimlich viel Potential aus alten und neuem Dokumentationsmaterial, sagte Geschwinde weiter. Schriftliche Quellen sind dürftig. Es existiert nur eine Urkunde vom 04. Mai 957 aus dem Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel, daneben der bekannte „Sachsenspiegel“, der das Landrecht für fünf Orte von Pfalzen in Sachsen wiedergibt (die erste Pfalz hieß Grona, die zweite Werla!) sowie zeitgenössische Überlieferungen von Widukind von Corvey aus dem Jahre 926. Die Werla gehörte zu einem ganzen Netz von Burganlagen und die Dichte hatte damals einen hohen Stellenwert. Sie ist wahrscheinlich auch nie von den viel zitierten ungarischen Reiterkriegern angegriffen worden, wie immer vermutet wurde, denn es gibt keine Hinweise, dass dort Kampfhandlungen stattfanden.

Am Schluss zeigte Dr. Geschwinde noch eine alte Urkunde mit einem sogenannten Requisationszeichen und ein neues 3D-Modell der Gesamtanlage, wie sie mal ausgesehen haben könnte. Für ihn persönlich hat sich die Werla zu einem faszinierenderen Ort entwickelt, zu dem zwar nicht die Könige zurückgekehrt sind, aber dafür Turmfalken! Basierend auf die gut geleistete Arbeit seiner Vorgänger sind diese neuen Erkenntnisse entstanden. Noch bewahrt die Werla einige ihrer Geheimnisse. Die Kernburg ist gut erforscht, hingegen gibt es bei den Vorburgen noch einige Wissenslücken, die mit weiteren archäologischen Grabungen geschlossen werden könnten. Die Werla wird noch viele Archäologen sehen und eine große wissenschaftliche Zukunft haben, sagte Dr. Geschwinde abschließend.

Die Vorsitzende Dorothee Schacht bedankte sich herzlich mit einem Präsent für den tollen Vortrag und die neuen Erkenntnisse. Nach vielen Fragen der gespannten Zuhörer konnte noch bei Glühwein das Gehörte sacken gelassen werden.

Der nächste Winterabend findet am 16. Januar um 19 Uhr statt. Dann wird Hans-Gert Hotop wieder interessante Ansichten von Schladen zeigen. Dazu sind auch wieder alle herzlich eingeladen.